Schon damals hatte es mich unvorbereitet getroffen, er und all sein Charme, dieses umwerfende Wesen, diese Liebe, welche er immerzu ausgestrahlt hat... Jetzt war er nur noch umwerfend. Wortwörtlich.Bevor ich auch nur seinen Namen denken (und verfluchen) konnte, saß ich auf meinem schmerzenden Hintern. Genervt starrte ich zu Jared hoch. Natürlich war er noch immer auf den Beinen und hatte vom Aufprall nichts gespürt. Es war ja schon ein Wunder, dass er mich überhaupt bemerkt, also unseren Zusammenstoß wahrgenommen hatte.Mike stand (mal wieder) völlig verdattert neben uns und wusste nicht, wie er in dieser Situation reagieren sollte. Praktischerweise kamen sie auch nicht auf die Idee mir irgendwie aufzuhelfen, sondern glotzten weiterhin auf mich hinab. Nicht mal ein genuscheltes sorry.... Diese zurückgebliebenen, kleinen... okay. Bis zehn zählen und den Adrenalinspiegel runterfahren.Ich atmete aus, rappelte mich dann auf, spürte wie der Zorn aus mir wich und dafür ein anderes Gefühl aber präsenter wurde. Sehr unvorbereitet und stumpf sprengte es sich in mich, verbreitete seine schmerzhaften Splitter in mir, einer Granate gleich. Ich hatte gehofft, dass es sich verändert, gewandelt und weiterentwickelt hatte.Meine Hoffnung wurden nicht enttäuscht. Es war tatsächlich abgeflaut, schwächer geworden. Dennoch war es stark genug, um mich an den hohlen Schmerz in meiner Brust zu erinnern, der einfach nicht verschwinden wollte. Es war ein Paradoxes Gefühl; ich spürte diese Leere, als wäre ich von innen ausgehöhlt worden, als hätte man mir etwas gewaltsam genommen. Als wäre ich unvollständig. Und das machte mich oft benommen, irgendwie gleichgültig, gleichzeitig spürte ich in dieser Leere einen tiefsitzenden Schmerz, etwas Stechendes, quälendes, etwas, was nicht zu fassen war. Etwas mit Ecken und Kanten, wie tausende, scharfe Glasscherben, die sich in mich gruben und bohrten, bei jeder Bewegung Schaden anrichteten. Ich krieg keine Luft mehr...Ich hasste es! Hasste es so sehr, wenn das mit mir geschah. Dieser Kontrollverlust ließ mich mir alles Andere herbeisehnen.Es war ganz gleich, welches andere Gefühl ich aufschnappte und verstärkte. Ganz egal, welches durch mich hindurchfloss, welches mich dazu brachte, durch die eiskalte Wand zu brechen und wieder zu mir selbst zu finden. Solange ich nur wieder atmen konnte, fühlen und spüren konnte, wie die Zeit verging und der Schmerz in den Hintergrund gedrängt wurde. Oft war Wut der helfende Auslöser, der mich zurück ins Hier und Jetzt brachte. Nicht perfekt, aber das war in Ordnung so. Nicht grundlos sagte man mir immer wieder, ich solle mein Temperament zügeln. Oder es zumindest versuchen.~ Na, hast du deine Zunge verschluckt oder wieso habe ich noch keinen deiner beschissenen Kommentare gehört? knurrte ich ihn an. ~ Du mich auch...murmelte er, zeigte mir den Mittelfinger und ging dann einfach davon. ~ Was? Wars das schon Jare? Keine Zugabe?!, rief ich ihm aufgebracht hinterher. Aber er beachtete mich schon nicht mehr. Als er aus meinem Blickfeld verschwand, wich jegliche Spannung aus meinem Körper und ich fühlte mich sehr müde. ~ Arsch..., murmelte ich vor mich hin. ~ Das wird wohl nie aufhören, flüsterte Mike hinter mir. Ich sah ihn nicht an, wusste, dass er mich schon durchschaut hatte. ~ Eigentlich ist es mir egal...murmelte ich und zog ihn dann mit mir.Natürlich war das gelogen. Es erstaunte mich, wie leicht es mir mittlerweile fiel, diese kleinen Lügen zu erzählen. " Mir geht es gut", "Ich bin nur müde...", "Das ist mir egal!"Meine Gedanken waren noch immer bei Jared, als wir auch schon vor unserem Seminar-Raum standen und der lieblichen Stimme von Madame Waren lauschten. ~ Und, weshalb sind wir zu spät? flüsterte Mike mir grinsend zu. ~ Mein Kreislauf ist zusammengebrochen. Wir waren also noch im Krankenzimmer? fragte ich leise mit unschuldigem Augenaufschlag. Mikes Daumen reckte sich zustimmend in die Höhe. ~ Leg mir deinen Arm um den Nacken und tue so, als müsstest du gestützt werden, raunte er mir mit feierlicher Miene zu. Ich unterdrückte ein Lachen und hängte mich an ihn. Bereit? fragte sein Blick. Ich nickte und setze eine Leidensmiene auf, während Mike klopfte.~ Entre! befahl sie. Mike öffnete vorsichtig die Tür und wir traten ein in ihr Gladiatoren-Stadium. Das war es ganz klar, denn jede Stunde glich einem brutalen unfairen Blutbad...also, wenn Gehirne Blut anstatt Gehirn-Wasser weinen würden. Sie schluchzten hemmungslos...stellt euch das mal vor. Ja, gar nicht lecker.25 Augenpaare richteten sich auf uns. Jaja, glotzt nur ihr Geier...~ Tut uns leid, dass wir uns verspätet haben, es gab da noch einen unpässlichen Zwischenfall Madame, richtete sich Mike direkt an den alten Drachen. Sie zog nur pikiert eine Augenbraue hoch und sagte: ~ Ünd der söll welscher gewösen sein? Ich verkniff mir die Frage, ob ihr schon mal jemand erzählt hatte, dass ihr Akzent total bescheuert klang und konzentrierte mich stattdessen auf meine Rolle: ~ Mein Kreislauf ist zusammengebrochen und Mike hat mir geholfen ins Krankenzimmer zu finden.~ Öh, ach dü meynes, liebes bisschen,gett es ihnen denn bösser? fragte sie etwas mitfühlender. Oh wow, sie konnte nett sein? Sofort merken, Madame Waren besaß Mutter-Instinkte. Ihr braucht mich wirklich nicht zu verurteilen, man kann nie wissen, wann diese Info einem Mal helfen kann.Ich nickte und wollte mich also gerade auf meinen Platz schleppen, als es dann passierte. Es traf mich völlig unvorbereitet. Das tat es jedes Mal. Aber ich hatte nach sechs Monaten Pause wirklich Hoffnungen gehabt, dass sie endlich weg wären. Nie wieder auftauchen würden. Diese verdammten Kopfschmerzen. Und ich rede nicht von normalen Kopfschmerzen, Freunde. Oder von Migräne.Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr viel zu schnell eurer Eis gegessen habt? Diesen Schmerz? Stellt ihn euch jetzt 100-mal stärker und mit fünffachem Kater nach einer Party-Woche auf Lloret de mar vor. Anschaulich genug?Der Schmerz sammelte sich in meiner linken hinteren Hirn-Hälfte und zuckte wie Blitze auf, so wie er gerade lustig war. Immer wieder. Es ließ mich aufstöhnen. Meine Hände legten sich schützend auf die Stelle und versuchten den Schmerz wegzudrücken, was natürlich vollkommener Schwachsinn war. Er zwang mich in die Knie, ließ mich aufkeuchen und wimmern. Scheiße, so schlimm ist das noch nie gewesen. Ich biss die Zähne fest zusammen und bekam mit, wie es knirschte, hörte, dass jemand mit mir sprach, spürte wie ich berührt wurde. Aber nichts riss mich aus diesem Tunnel. Bis dann einfach alles weg war. Schwarz.Schwarz, sein T-Shirt war schwarz gewesen, an dem Tag an dem wir uns kennengelernt hatten. Ich habe gelesen, in der Schulbibliothek die ich so unglaublich geliebt habe. Riesig, gemütlich, warm. Ein Ort des Wissens. An dem es keine Grenzen gab. Genauso wie ich es mochte. Alles war möglich, wenn man las. Du konntest fliegen, lieben, zaubern und sterben ohne wirklich all das zu erleben.Jared hatte auch gelesen, still... geradezu gefangen von dem was er in seinen Händen hielt. Ich bemerkte ihn eigentlich nicht wirklich, sondern eher sein Buch. Während des Lesens hatte ich einmal kurz aufgeblickt und das Cover ist mir sofort ins Auge gesprungen. Es war weiß, schwarz umrandet. In der Mitte waren zwei Personen abgebildet. Diese trugen jeweils zwei Gesichter, waren jedoch ausdruckslos, leer, keine Augen, kein Mund und auch keine Nase. Ein zerbrochenes Glas lag auf dem Boden zwischen ihnen, einer der beiden schien sich an eben diesem verletzt zu haben. Ein rubinroter Tropfen, so klein und doch so wichtig.Dieses Bild erinnerte mich damals an mein erstes Zusammentreffen mit Marco. Dezember. Tag der offenen Tür. Mein erster richtiger Flirt. Dieser Gedanke brachte mich zum Schmunzeln und zum Schaudern. Gruselige Zeit mit 14, gerade mitten in der Pubertät gewesen und dann eine langatmige(eine-Monats) Beziehung geführt. Beim Kellnern ließ ich wegen ihm und seiner Aufmerksamkeit-heischenden Versuche ein Glas fallen. Er half mir beim Aufsammeln, verletze sich dabei heldenhaft und ließ mir keine andere Wahl, als ihn zu verarzten. Seufz.~ Hey, ist das Buch gut? hatte ich einfach so gefragt. Und dieser ebenfalls gesichtslose hatte einfach gelacht (gesichtslos, weil das Buch seines verdeckte). Ich nahm jedes Detail auf und speicherte es ab, als beim Herunternehmen des Buches mehr und mehr zum Vorschein kam. Grüne lachende Augen. Grübchen die so gar nicht zu der Farbe seines T-Shirts passen wollten. Volle grinsende, Lippen, die eine ansteckende Wirkung besaßen. Er klopfte neben sich auf den Sitzsack und schmunzelte: ~ Lass es uns herausfinden. Offen, sympathisch und ein klein wenig frech. Ich überlegte nicht lang und entschied mich dann dafür, diesem Angebot Folge zu leisten...~ Emily? hörte ich jemanden sorgenvoll meinen Namen flüstern. Ich blinzelte und versuchte diese lachenden, grünen Augen aus meinem Kopf zu verbannen...Nachdem sich mein Blick langsam wieder fokussiert hatte, erkannte ich, dass die Augen, welche mich direkt anblicktena) nicht grün waren undb) viel zu dicht vor meinen umhertanzten~~~
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